Sri Lanka

Engagiert und gefordert

18.3.2022
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10
Min.
Kurzzeiter Micha W. gibt 5 sri-lankischen Lernenden einen Holzbaukurs

Seit bald zweieinhalb Jahren engagieren wir uns nun im Projekt Handwerkerschule CCS. Der vielschichtige Einsatz und der Umgang mit verschiedensten Charakteren bringen nach wie vor genug Herausforderungen mit sich.

Insgesamt fühlen wir uns jedoch gut integriert, akzeptiert und fähig mitzuhelfen, den Betrieb weiterzuführen, beziehungsweise sorgfältig in den sensiblen Bereich Richtung Nationalisierung zu begleiten. Unsere Kinder können sich inzwischen auf Englisch verständigen, haben in den Kindern von Familie B. Klassenkameraden und Spielgefährten gefunden und auch da und dort Gelegenheit, mit einheimischen Kindern zu spielen.

Viel Platz zum Spielen

Nebst der Arbeit im Projekt investieren wir uns in lokale Beziehungen. Da ist beispielsweise A. – Wir haben in einer früheren Ausgabe der Sri Lanka NEWS von ihm erzählt. Er ist glücklich, dass er durch die erlernte Beweglichkeit und die Mobilität mit einem Occasions-Sportler-Rollstuhl aus der Schweiz ein mehrheitlich selbstständiges Leben wiedererlangt hat. A. hat einen muslimischen Hintergrund. Seit wir ihm geholfen haben, werden wir von seinem ganzen Clan wie Familienmitglieder angesehen. Wir durften in ihrem Quartier Flyer verteilen und in einem Nachbarquartier sogar beim Imam vorsprechen, um Werbung fürs CCS zu machen. Bisher kam dadurch zwar noch kein muslimischer Lernender ans CCS, aber wir hoffen, dass Schranken abgebaut werden können.

Grössere Bekanntheit und mehr Lernende

Obwohl uns die Schwierigkeiten rund um die Visaverlängerung letztes Jahr viel Energie gekostet haben, sehen wir darin auch positive Aspekte: Durch Anfragen um Hilfe in dieser Sache haben wir diverse Echos erhalten und gesehen, wem das Projekt CCS und unser Dasein und Dienst im Land wirklich ein Anliegen ist. Das CCS hat letztlich eher an Wertschätzung bei den Behörden und an Bekanntheit durch unterschiedliche Kontakte im Land gewonnen. Der Vorstand des CCS wurde sensibilisiert, dass die Behörden höhere Zahlen verlangen für die Daseinsberechtigung von uns Expats. Nebst den Werbeevents, die wir in einigen Dörfern abhalten durften, hat dies sicher dazu beigetragen, dass wir nun tatsächlich eine höhere Anzahl an Lernenden haben. Pünktlich auf den Kursstart in der zweiten Januarwoche hatten wir bereits 12, dann 15, später sogar 17 neue Lernende, zusätzlich zu den zwei, die schon im vergangenen Jahr bei uns waren. So sind nun fast alle 20 Betten belegt. Gott hat auf Gebete gehört und uns mit Lernenden versorgt. Nun möchten wir vertrauen, dass er uns auch mit genügend Bauaufträgen (in der Nähe) versorgt.

Erfreulicherweise ist die Durchmischung von Ethnien, Sprachen und Herkunft bei den Lernenden grösser. Es wird nebst Tamil und Englisch auch viel mehr Singhalesisch gesprochen. Zudem haben wir neu Lernende mit einem «advanced level» (vergleichbar mit Gymi-Abschluss), welche ebenfalls eine ganz neue Dynamik in die Gruppe bringen. Die riesige Spannweite an Vorbildung, Können und Motivation fordert einiges an Flexibilität im Unterrichten und in der Arbeitsplanung. Wir sind dankbar, dass wir nach zwei schwierigen, von der Corona-Pandemie geprägten Jahren endlich in einem normalen Ablauf mit den Lernenden vorwärts gehen können.

Gruppenfoto am Nationalfeiertag

Vergrösserung bringt Veränderungen mit sich

Der Betrieb des CCS hat sich verändert. Die Handwerkerschule hat sich von einem Pionierprojekt zu einer wachsenden Firma mit mehr einheimischem Personal und einem Lehrbetrieb mit steigendem Niveau entwickelt, was im Blick auf die Personalbetreuung und Logistik eine komplexere Planung verlangt. Der Arbeitsaufwand ist für alle dementsprechend gestiegen. Durch die Lockdowns sind zudem nun quasi alle Bauarbeiten auf dem Gelände abgeschlossen und Unterhaltsarbeiten gibt es momentan wenig. So sind die Arbeiten, bei denen die Lernenden praktische Erfahrung sammeln können, nicht mehr einfach «vom Küchenfenster» her zu überwachen, sondern grundsätzlich ausserhalb des Geländes, ja mehrheitlich sogar weit weg. Die dort tätigen Vorarbeiter und Mitarbeitenden müssen darum mehr Verantwortung übernehmen und sind gefordert, klar zu kommunizieren.

Gruppenbild anlässlich des Weihnachtsessens von Ende Januar 2022

Ende November machten wir mit der ganzen Gruppe einen gemeinsamen Ausflug. Das Weihnachtsessen für das Personal organisierten wir erst Ende Januar nach einem erstmals stattfindenden Mitarbeitenden-Visionstag mit insgesamt 13 Anwesenden. Dort brachten wir das Anliegen zur Sprache, dass in einem grösseren Betrieb mehr Verantwortung an Einheimische übergeben müssen und fragten nach Ideen und Vorschlägen. Das Problem mit der Visaverlängerung hat den Einheimischen stärker bewusst gemacht, dass Expats unter Umständen in Zukunft nur noch kürzere Einsätze vor Ort leisten können und dass darum die Leitung des CCS grundsätzlich in sri-lankischen Händen liegen müsste. Dazu bräuchten wir aber ausgebildete Mitarbeitende (beispielsweise einen Ingenieur), die von den staatlichen Behörden für die Leitung anerkannt wären.

Mitarbeitenden-Visionstag

Prüfungen, Projekte und Personal News

Anfang April sind die Abschlussprüfungen (NVQ3) für die beiden Lernenden vom Jahrgang 2021 geplant. Im Mai werden zudem erstmals NVQ4 Prüfungen stattfinden mit denjenigen, welche letztes Jahr die Schweizer Mauerprüfung absolviert haben, plus allen drei Vorarbeitern, welche bisher noch kein staatliches Zertifikat erhalten haben, seit sie am CCS arbeiten. Danach wird es hoffentlich erstmals möglich sein, dass wir einen der Mitarbeitenden in die berufsbegleitende Ausbildung zum «civil engineer» schicken können (NVQ 5).

Projektbesichtigung

Wir freuen uns darüber, dass Micha W. seinen Einsatz als Schreiner-Instruktor am CCS nach einem kurzen Urlaub in Deutschland um ein halbes Jahr verlängern möchte. Sein fachlich kompetenter Einsatz ist sehr wertvoll und hilfreich für den Betrieb. Auch Romana K., welche im Februar und März bei uns weilt, ist uns mit ihren planerischen und zeichnerischen Fähigkeiten eine wertvolle Unterstützung. Im April wird auch der jüngste Vorarbeiter Sana erstmals Vater und Joshua zum zweiten Mal. Die grösste Baustelle in Jaffna mit dem Paalam-Schulprojekt beschäftigt uns nun schon seit zwei Jahren. Unser ältester Vorarbeiter, Kanut, welcher dort die Verantwortung der Bauaufsicht trägt, ist durch diesen Auftrag sehr gereift. Er denkt vermehrt mit, handelt selbständig und verwaltet Personal und Material, das ihm anvertraut ist, kompetent, und dies, obwohl er letzten November erstmals Vater geworden ist. Wir lassen ihn nachfolgend selber zu Wort kommen.

Aldo und Rahel R.

An den Aufgaben wachsen

«Seit Februar 2020 arbeite ich nun im Paalam Schulhausbau-Projekt in Jaffna mit. Ich habe dabei viel an Erfahrung gewonnen und lerne, mit Herausforderungen umzugehen. Die grössten waren in den vergangenen zwei Jahren die Corona-Pandemie und der Weggang von Ruedi S. Aber inzwischen mag ich Herausforderungen sogar und bin glücklich zu sehen, dass sich das Projekt so entwickelt, wie ich es erwartet habe. Auch privat nehme ich die neuen Herausforderungen als Vater an. Die grösste dabei ist es, genügend Schlaf zu bekommen. Am Mitarbeitenden-Visionstag kam zur Sprache, wie wichtig es ist, Beziehungen und Kontakte zu Firmen und zu Personen in der Gegend zu nutzen. Hier möchte ich mich einsetzen, denn ich habe bereits viele Verbindungen. Ich bin überzeugt, dass es eigentlich genug Aufträge gäbe und viel Arbeit zu tun wäre. Wir müssen nur an die richtigen Leute herankommen. Auch für die Abgänger des CCS sollte es landesweit genug Möglichkeiten geben, um eine Arbeitsstelle zu finden. Ich habe schon mehrere Absolventen an Firmen vermittelt, aber leider waren nicht alle von ihnen gewillt, den erlernten Job auch wirklich zu machen.» (Kanut)

Neue Mitarbeitende mit kulturübergreifender Diensterfahrung

Seit November letzten Jahres arbeitet das Ehepaar Mohan und Rasi S. am CCS mit. Besonders jetzt mit der grösseren Anzahl Lernender sind sie uns im Internatsbetrieb, in der Administration und der Küche eine Entlastung. Mohan ist eingewanderter Tamile aus Südindien und seine Frau Rasi stammt ursprünglich aus Malaysia. Nachdem sie bereits früher für einen Dienst in der Handwerkerschule angefragt wurden, ist nun die Zeit dafür reif geworden. Das Zögern war mitunter begründet in der eher schwierigen Erfahrung als Schulleiter vom BTC, und weil der Einsatz am CCS komplett anders sein würde, als sie es von bisherigen Erfahrungen im Dienst in Sri Lanka und Indien gewöhnt waren. Aber sie sind bereit, Neues zu wagen und schreiben:

«Mit Gottes Hilfe eröffneten sich uns in den unbeständigen, unsicheren Zeiten hier in Sri Lanka neue Wege. Wir sehen im CCS viele Möglichkeiten für unser Engagement. Die Handwerkerschule arbeitet an der Entwicklung von Fähigkeiten, um die Chancen von Schulabgängern auf einen Arbeitsplatz zu verbessern, und wir haben die Möglichkeit, den Auszubildenden, die hier leben und lernen, zu helfen, ihren Charakter zu entwickeln. Die Investition von SAM global in Form von qualifizierten Ausbildnern trägt dazu bei, eine gute Arbeitsmoral zu vermitteln, was in einem Land mit einer eher laschen Mentalität einen grossen Einfluss haben kann. Aufgrund unserer Erfahrung im Bereich der Leiterschaftsschulung sehen wir die Möglichkeit, dass Lernende sich auch in der Kirche einsetzen, später vielleicht in ärmeren Gebieten des Landes, wo es nicht möglich ist, dass Kirchgemeinden einen Geistlichen komplett finanziell tragen können. Wir beobachten, wie Lernende aus zerrütteten Familienverhältnissen und solche, die die Schule abgebrochen haben (teilweise aufgrund des Krieges), die Chance auf ein sinnvolles Gemeinschaftsleben und wie junge Leute aus der singhalesischen Mehrheit und der tamilischen Minderheit zusammen leben und zusammen arbeiten. Dies wird sicherlich dazu beitragen, Ängste abzubauen und den historischen ethnischen Hass zu überwinden.

M. mit zwei Lernenden

Die Lage des CCS an den berühmten Nilaveli-Stränden in der östlichen Küstenstadt Trincomalee ist ein absoluter Pluspunkt – strategisch günstig zwischen den nördlichen und östlichen Provinzen, inmitten von muslimischen, tamilischen und singhalesischen Gemeinschaften. Die englische Unterrichtssprache ist ebenfalls ein grosses Plus. Wir selber können den ausländischen Mitarbeitenden bei internen Kommunikationsherausforderungen helfen, wenn sie mit einheimischen Schülern zu tun haben, die möglicherweise Lern- und Kommunikationsschwierigkeiten haben.

Wir bedauern den Konflikt unter einigen Vorstandsmitgliedern des Baldaeus Theological College (BTC), was auch aufs CCS Einfluss hat, weil es auf dessen Land eingemietet ist. Wenn es positive Entwicklungen und eine Lösung des Konflikts gibt, sehen wir jedoch eine Chance, dass das CCS bei der Sanierung der Bibelschule helfen kann, damit sie in Zukunft funktionieren und der örtlichen Kirche in Sri Lanka dienen kann. Das ist uns ein Anliegen.» (Mohan und Rasi)

Sorgfältiger Umgang mit Aufgaben und Grenzen

Als bei unserer Ankunft unsere Jobpäckli verteilt wurden, ahnten wir, dass dies eine grosse Aufgabe werden würde. Besonders mit dem Familienleben und dem Homeschooling zusammen ergab sich eine geballte Ladung an Aufgaben. Gott sei Dank sind Mohan und Rasi im Oktober zu unserem Team gestossen. Sie sind eine enorme Entlastung für den Alltag im CCS. Zugleich ist aber auch die Kommunikation im Team herausfordernder geworden, da nun drei Parteien immer auf dem neusten Stand der Informationen sein müssen. Unsere Kinder hatten wenig Mühe, sich am CCS einzuleben. Sie verbringen gerne Zeit mit den Kindern von Familie R. Der Betrieb am CCS fordert viel Flexibilität und kulturelles Verständnis. Die grösste Herausforderung für uns ist das Setzen von persönlichen Grenzen. Wo brauchen wir Zeit als Familie? Wie pflegen wir unsere Ehe? Es ist für uns ein ständiger Lernprozess, beispielsweise kein schlechtes Gewissen aufkommen zu lassen, wenn man seine Zeit nicht mit CCS-Angelegenheiten füllt. Oder Gelassenheit zu üben, weil man ab und zu die Kontrolle abgeben muss. Ein Schlüssel wird für uns künftig das gegenseitige Entlasten sein. Hier sind wir als Team gefragt, die individuellen Bedürfnisse gegenseitig wahrzunehmen. Eine weitere positive Entwicklung sehen wir im freien Reisen. Wir sind froh, dass wir wieder Unterstützung von Kurzzeitern haben und freuen uns über die Aussicht auf weitere Besuche aus der Schweiz. Man fühlt sich gleich nicht mehr so isoliert und es kommt immer wieder frischer Wind ans CCS. Dies wirkt gut gegen aufkommendes Heimweh.

Stefan und Daniela B.

SAM global
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