Kamerun

Das Positive im Blick behalten

15.12.2021
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Min.
Mitarbeitender des OM mit Material auf Töff

Endlich war es mir Anfang November wieder einmal möglich, den Kamerun zu besuchen. Die beiden letzten Versuche scheiterten an verspäteten Flügen und geschlossenen Grenzübergängen. Umso freudiger war das Wiedersehen mit den zahlreichen Projektverantwortlichen und Freunden sowie mit Helen M., die den gesamten Aufenthalt gut geplant hatte. Gerne gebe ich hier ein paar Eindrücke weiter.

Wie ein Flickenteppich

Das Reisen zwischen dem Tschad und dem Kamerun ist abenteuerlich. Der schlechte Strassenzustand, insbesondere im Tschad, liessen mich in dem Moment an der Entwicklungsarbeit im Allgemeinen zweifeln. Von den Strassen, die vor fünfzehn Jahren von grosszügigen Geldgebern gebaut wurden, sind heute nur noch einzelne «Teerflecken» übrig. Auch dass wir beim Grenzübertritt insgesamt neun (!) Kontrollposten passieren mussten, hinterlässt ein etwas flaues Gefühl im Magen. Dies insbesondere, weil bei vielen Kontrolleuren das «Trinkgeld» im Vordergrund ihrer Arbeit zu stehen scheint. Die Landschaften und das geschäftige Treiben zu beobachten, wo immer man hinkommt, entschädigen einen einigermassen für die Strapazen.

Die Kirchenleitung ist auf gutem Kurs

Das Gespräch mit einem Teil des Zentralkomitees der Kirche hat mich wieder ermutigt, dass sich unser Einsatz lohnt. Trotz Corona und Boko Haram wächst ist die Kirche stetig. Bittere Armut, schlechte Ernten und Überfälle in der Grenzregion scheinen die Solidarität zu fördern. Die Beiträge der Gemeinden an die Zentralkasse konnten in den letzten Jahren gesteigert werden. Die vor fünf Jahren angestossene Strategie zur eigenständigen Finanzierung der Betriebskosten der Bibelschulen und der Departemente der Kirche (z.B. Jugendarbeit, Literatur…) zeigt Wirkung. Die Abhängigkeit von SAM global sinkt, die Kirche übernimmt vermehrt Verantwortung. Die Kirchenleitung will an diesem Kurs festhalten und so sollte in etwa fünf Jahren der Betrieb allein von der Kirche getragen werden können. Die Unterstützung von aussen wird dann voll in die neuen, zeitlich limitierten Projekte einfliessen können.

Projektverantwortliche nach der Weiterbildung in Projektmanagement

Grosser Bedarf bei der Infrastruktur

Die Station in Djarengol, wo ich untergebracht war, ist in sehr gutem Zustand. Ich staunte über die Sauberkeit, aber auch darüber, wie gut die Fenster schliessen und wie zuverlässig die Wasser- und Stromversorgung funktionieren. Andererseits besteht auch Renovationsbedarf, beispielsweise an den Wohnhäusern der Studierenden und der Verantwortlichen am theologischen Institut ISTEM. Und es braucht neue Räumlichkeiten: Klassenzimmer, ein Labor, eine Bibliothek und ein Informatikraum am Collège, dazu Schulzimmer, zusätzliche Wohnräume und Büros am ISTEM. An den Bibelschulen (Kourgui und Sangéré) und an der Schule für Hauswirtschaft (CEFMA) sollten Solarinstallationen die prekäre Stromversorgung entschärfen.
Viele Gelände müssen zudem mit einer Hofmauer abgegrenzt werden. Dass dies nötig ist, will uns Westeuropäern nicht so recht in den Kopf. Zudem lassen sich dafür schwer Spenden generieren, was für mich als Projektpartner dann wiederum wie eine unüberwindbare Mauer erscheint.

Wartende Patientinnen und Patienten bei einem Gesundheitszentrum

Das Beste zum Schluss

Am meisten aber freut mich festzustellen, dass sich Menschenleben verändern. Die Gemeinden wachsen, Menschen treffen sich in Hauszellen und kleinen Gruppen. Ehemalige Muslime suchen anhand des Al Massira-Kurses gemeinsam nach Antworten auf ihre Fragen. Kinder, die sonst nichts mit der Kirche «am Hut haben», geniessen die geschenkte Aufmerksamkeit und die biblischen Geschichten in den Quartierclubs. Hunderte von Patientinnen und Patienten hören täglich in den Gesundheitszentren der Kirche Teile der Frohen Botschaft, und über 1’000 «Follower» schauen sich auf Facebook und Youtube die Filme von «E-Media du Sahel» an, in welchen ihnen christliche Werte und biblische Wahrheiten kontextgemäss erklärt werden. Es ist einfach gut zu wissen, dass unsere Partner es verstehen, mit Bildung Leben zu verändern.

Andreas Zurbrügg, Länderverantwortlicher

AUCH MUSLIME SIND DANKBAR FÜR DIE GUTE SCHULE

Zum ersten Mal gab es im Col.Pro.Ma Abschlussprüfungen der ersten Oberstufe und fast alle Schülerinnen und Schüler haben bestanden (83%). Das ist in Kamerun ungewöhnlich und überhaupt nicht selbstverständlich. Die meisten Kinder hier wachsen drei- oder viersprachig auf. Muttersprache ist die Sprache der ethnischen Gruppe, Fulfulde ist die gemeinsame Sprache auf dem Markt, in den Kirchen und beim Spielen mit anderen. Französisch und Englisch lernen sie ab dem Kindergarten, wobei in Nordkamerun Französisch die Schulsprache ist.

Entscheidende Unterschiede

Mariat, Florence und Simon besuchen das Col.Pro.Ma seit seiner Eröffnung. Auf meine Frage, was diese Schule so besonders mache, nannten sie die folgenden Punkte:
In vielen Schulen kommen die Lehrpersonen häufig verspätet aus den Ferien zurück und/oder fehlen sehr viel. Es kann sogar sein, dass ein Unterrichtsfach ganz ausfällt. Im Col.Pro.Ma ist das nicht so. Die Lehrpersonen sind streng und es hat Konsequenzen, wenn die Hausaufgaben nicht erledigt werden. Aber das gehört zu ihrem Bestreben, dass alle Kinder den Stoff verstehen und die Examen bestehen. In den staatlichen Schulen mit Klassen von über 100 Kindern haben die Lehrpersonen keinen Überblick mehr und sind (deshalb?) oft nicht wirklich motiviert. Damit sie besser dastehen, werden manchmal Noten manipuliert. Es kann auch vorkommen, dass in höheren Schulen Geld oder andere Gegenleistungen für bessere Noten oder das Bestehen von Examen verlangt werden.
Mariat, Florence und Simon gehören zu den Besten und möchten Medizin studieren, zwei von ihnen wissen sogar schon die Richtung: Chirurgie und Gynäkologie. Die Schülerinnen und Schüler machen einen reifen Eindruck für ihr Alter. In der Freizeit müssen viele zu Hause im Haushalt mithelfen, denn oft ist die Mutter auch berufstätig.

Es ist ein Vorrecht, diese Schule besuchen zu dürfen

Die Schule und die persönliche Betreuung werden geschätzt

In der Haupt-Moschee und auch im Internet wurden die Eltern aufgefordert, ihre Kinder nicht in christliche Schulen zu schicken. Daraufhin hat ein einziger Vater seine drei Kinder vom Col.Pro.Ma genommen. Alle übrigen sind geblieben. So auch Mariat: Sie ist Muslimin, hat aber keine Probleme deswegen. Im Elternrat sitzen auch Muslime, die sehr froh sind, dass ihre Kinder eine so gute Schule besuchen können. Der Schulseelsorger, der Schuldirektor oder die Lehrpersonen kümmern sich auch um die persönlichen Probleme der Jugendlichen. Immer wieder einmal kommt jemand mit seinen Sorgen zu ihnen. Die Kinder stammen oft aus armen Verhältnissen oder zerrütteten Familien. Wenn die Eltern das Schulgeld nicht bezahlen können oder wollen (manche tun das nur unter Druck), kann ein Kind aus der Schule gewiesen werden. Das ist eine schwere Entscheidung für den Schulleiter, denn er weiss, dass für das betreffende Kind eine Welt zusammenbricht und es nicht selten in einem schlechten Milieu landet (Prostitution, Drogen, Diebstahl). Aber die Schule ist auf die Beiträge der Eltern angewiesen, um die Löhne bezahlen zu können.

Helen M.

AL MASSIRA - SCHULUNGEN UND ÜBERSETZUNGEN

In den Al Massira-Schulungen für Kursleitende werden Leute ausgebildet, um dieses Bibel-Kennenlern-Programm mit Interessierten anzuwenden. Nach Kursen im Niger und in Mali sind im Dezember zwei solcher Trainings in Garoua geplant. Zu einem Training sind ausschliesslich Frauen eingeladen, weil Frauen einfacheren Zugang zu den Häusern haben. Das zweite Training ist dann offen für alle.
Das Al Massira-Übersetzungsteam für Fulfulde ist gut vorwärtsgekommen. So konnte A. die Tonaufnahmen für sechs weitere Filme à ca. 40 min durchführen. Im Moment verarbeitet er die Aufnahmen und die Filme dürften im Dezember fertiggestellt sein. Die Synchronisation des ersten Films ist sehr gut gelungen. Es ist eine grosse Chance, dieses ausführliche und ansprechende Material Menschen zugänglich zu machen, die Fulfulde sprechen.

A. bearbeitet die Tonaufnahmen im Studio

ANSTRENGENDER UND GEFÄHRLICHER EINSATZ IM OM

Das Ende der Regenzeit ist jeweils sehr anstrengend für die Teams in allen sieben Gesundheitszentren des Oeuvre Médicale. Der Ansturm mit den vielen an Malaria Erkrankten und Kindern in akuter Lebensgefahr ist gross.
Im Dorf des Gesundheitszentrums Tourou fanden erneut wiederholte Übergriffe der Boko Haram statt. Es gab mehrere Tote. P., der Wächter und Allrounder des Zentrums, wurde zuhause zwei Mal überfallen und ausgeplündert. Er konnte sich gegen eine Entführung wehren, wurde jedoch mehrmals angeschossen. Es ist ein Wunder, dass er überlebt hat.
Die Dorfbevölkerung verbringt die Nächte wieder in den Bergen zwischen den Felsen. Dadurch können sie sich nicht ausreichend gegen Malaria schützen. Umso dankbarer sind sie für die medizinische Versorgung im Gesundheitszentrum, welche trotz der unsicheren Lage tagsüber aufrechterhalten bleibt.

Ein Teil des Materials wird aus Sicherheitsgründen jeden Tag mitgenommen

EHRUNG FÜR LANGJÄHRIGE TREUE

Alle paar Jahre werden langjährige Mitarbeitende der medizinischen Arbeit mit Medaillen geehrt. 2020 waren wieder vier Mitarbeitende an der Reihe, welche bereits über 25 Jahre im Oeuvre Médicale tätig sind. Doch weil wegen der Corona-Pandemie Feste und Umzüge ausfielen, fand die Verleihung nicht wie sonst öffentlich statt. Dies wurde durch eine Feier am 24. November 2021 in Anwesenheit von hohen Amtspersonen nachgeholt.

Hanna W.

Ehrung für treuen Einsatz

WITWEN NICHT IM STICH LASSEN

Vor über acht Jahren wurden zwei junge Männer wegen ihres Glaubens umgebracht. Einer von ihnen, David, hatte sich etwa fünf Jahre zuvor taufen lassen. Als er in der Bibel las, dass ein Christ nur eine Frau haben sollte, stellte er seinen beiden Frauen frei, ob sie bei ihm bleiben wollten oder nicht. Trotz dem Spott der Nachbarn und dem Druck der Familien wollten das beide, denn David hatte sich sehr zum Positiven verändert!
Als David starb, kam niemand von den Angehörigen auf Trauerbesuch. Nur die Nachbarn aus einer anderen ethnischen Gruppe und die Freunde von David waren da. Die Angehörigen verweigerten jede Unterstützung, solange die Frauen nicht in ihre ursprüngliche Religion zurückkehren würden. Der Schwiegervater von David wollte den Frauen sogar das grosse Hirsefeld wegnehmen. Die Gruppe der Christen kümmerte sich um die beiden Witwen mit den 13 zum Teil noch sehr kleinen Kindern. SAM global übernahm das Schulgeld mit der Auflage, dass nur für die Kinder bezahlt wird, die keine Klasse wiederholen müssen! Das beeindruckte die Kinder und sie arbeiteten gut für die Schule. Inzwischen haben die drei ältesten die Matura gemacht. Einer von ihnen studiert Elektroingenieur und verdient in den Ferien etwas Geld, von dem er dann während des Schuljahres lebt.

Die Taten der Liebe beeindrucken

Die Witwen machten sich zuerst grosse Sorgen. Hat ihr Mann sich richtig entschieden, als er Christ wurde? Wer würde sie nun unterstützen? Doch bald merkten sie, dass auf die christlichen Freunde von David Verlass war. Sie kümmerten sich um sie, gaben ihnen Ratschläge und halfen wenn nötig auch materiell. Normalerweise ist das die Aufgabe der Verwandten. Die Witwen arbeiteten hart und merkten, dass Gott sie segnete. So blieben sie fest im Glauben und achteten nicht mehr auf das Gespött der Nachbarn. Die beiden Frauen sind gute Freundinnen geworden und bleiben unverheiratet, um die Kinder gut versorgen zu können. Weil sie selber nie zur Schule gehen konnten, lesen ihre Kinder ihnen nun aus der Bibel vor. Es bleibt im Umfeld nicht unbemerkt, wie die Glaubensgeschwister (auch aus der Schweiz) geholfen haben. So etwas kennt man hier nur bei engen Verwandten. Inzwischen haben die Kinder sogar Geld zusammengelegt, um ihrem Grossvater, der das Gelände wegnehmen wollte, die Augenoperation wegen grauem Star zu bezahlen. Das hat den Grossvater mächtig beeindruckt. Er äussert sich nicht mehr negativ über den Glauben der Familie seiner Tochter!

Witwen und Waisen haben es nicht leicht

KURZNEWS

Vor 30 Jahren wurde das ISTEM als Bibelinstitut eröffnet und war ursprünglich für rund 20 Familien vorgesehen. Nun platzt die theologische Ausbildungsstätte aus allen Nähten. Es hat 24 Studenten im ersten Jahr für das Niveau Licence und 53 im zweiten Jahr der Bibelschule. 43 Studentinnen besuchen die Frauenklasse. Ihr Schulniveau reicht nicht aus, um gemeinsam mit den Männern zu studieren. Zusätzlich wurden zwei Kindergartenklassen und eine 1. Primarschulklasse für die vielen Kinder (auch aus der Nachbarschaft) gestartet.

Helen M.

Die 1. Primarklasse am ISTEM

SAM global
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